Wunderbar, so ein Stadtmusikanten Express. Mit Hahn, Katze, Hund, Esel, Engel und Bimmeldibimm fuhr es sich wunderbar um die Ecke. Oder heißt das nicht "um den Pudding"? Foto: Jan Meier

Herbstsonne, Feuer und viele schöne Geschichten. Das waren die Gröpelinger Feuerspuren 2019

Die 13. Auflage des Erzählfestivals Feuerspuren lockte am Sonntag, den 3. November 2019 zahlreiche Besucher*innen nach Gröpelingen. Unter dem Motto „Um die Ecke“ hatten Kultur Vor Ort und das Bürgerhaus Oslebshausen ein Programm konzipiert, welches hohe künstlerische und kreative Ansprüche erfüllte. Bis 18 Uhr wurden zeitgleich Feuer-Shows auf mehreren Bühnen, Erzählkunst, Musik, Begegnungen und Kulinarisches geboten.

Das sind die Feuerspuren 2019: alle Akteur*innen auf einen Streich. Foto: Marianne Menke

Danach formierte sich am Bibliotheksplatz unter Sambaklängen der große Lichterumzug. Über die Stapelfeldstraße ging es entlang der Waterfront zur Weserpromenade, wo der Tag mit einem Höhenfeuerwerk ausklang. Viele große und kleine Gröpelinger*innen beteiligten sich am Erzählfestival und am Umzug mit Laternen und liebevoll gebastelten Leuchtobjekten, welche die Straßenränder schmückten oder mitgeführt wurden.

Das Feuerwehrauto mit Söntke Campen und Verena Zimmermann. Foto: Marianne Menke

Julia Klein, die künstlerische Leiterin der Feuerspuren, wünschte sich am Vorabend des Festivals nur eines: keinen Regen. Das half. Bei strahlendem Herbstwetter strömten ab Mittags hunderte Besucher*innen in die Lindenhofstraße, die sich rasch füllte. Unter ihnen auch Ehepaar Messfeld aus Osterholz-Scharmbeck: „Wir kommen mittlerweile jedes Jahr. Jetzt holen uns erstmal ein Programmheft, dann treffen wir uns mit Freunden, und entscheiden, was wir uns anhören.“ Frau Messfeld, gebürtig aus Berlin, mag die quirlige Atmosphäre des Stadtteils: „Die Lindenhofstraße erinnert mich an Kreuzberg!“

Luise Gündel und Rainer Mensing hatten einen Mordsspaß beim um die Ecke bringen an der pinken Ecke. Foto: Jan Meier

Auch in diesem Jahr wartete das Erzählfestival mit einigen Neuheiten auf. Im Infomobil der BSAG/Science Corner präsentierten junge internationale Wissenschaftler*innen der Universität Bremen ihr Kurzgeschichtenprojekt „Once Upon A Time“. „Wissenschaft braucht beides: fundierte Recherchen und gute Kommunikation“, erklärte Eva Bischof. Die Erzählungen auf Spanisch und Deutsch waren hochaktuell. Sie thematisierten die Bedrohung des Ökosystems Meer durch Plastikmüll und Schleppnetzfischerei.

Jugendliche der Mevlana Moschee erzählten dem Publikum von ihren Werten, Träumen und Sehnsüchten. Foto: Jan Meier

Eindeutiger Publikumsliebling war in diesem Jahr der Stadtmusikanten-Express der Firma Frenzel. Detlef Rakebrand lenkte den weiss-roten E-Zuge souverän durchs Lindenhofquartier: „Dies ist weniger eine Rundfahrt als eine fahrende Geschichte“, erklärte Rakebrand den Gästen. Pro Fahrt konnten bis zu 48 Personen mitfahren, natürlich gratis. Dazu ertönte über Lautsprecher ein neues Kapitel der Bremer Stadtmusikanten. Die vier prominenten Tiere lernen im Urlaub in Gröpelingen die junge Akkordeonspielerin Adrina, eine „echte“ Bremer Stadtmusikantin kennen. Zusammen erleben sie ein turbulentes Abenteuer mit Verfolgungsjagden, einem Gerichtsvollzieher und Happy End. Immer wieder reckten Passant*innen die Köpfe, winkten und lächelten, wenn die Hahnenschrei-Hupe des Zuges ertönte.

Das Archiv der Sprachen enthält zahlreiche der in Gröpelingen gesprochenen Sprachen. Foto: Marianne Menke

Ruhiger ging es im „Café Vielfalt“ in der Lindenhofstraße 34 zu. Dort konnten Besucher*innen bei Kaffee und Kuchen sich an der Umfrage beteiligen „Von wem hast Du in Deinem Leben am meisten gelernt?“ Die Antworten wurden auf Schultafeln gemalt, fotografiert und sofort ausgestellt. Frauke Kötter, Mitarbeiterin im QBZ Morgenland, ging es darum, den Stellenwert außerschulischer Bildung zu betonen.

Kuschelig wurde es bei den Geschichten im historischen Borgwardbus. Foto: Jan Meier

Dass auch in Museen Geschichten erzählt werden, stellten Bora Akşen und Jan Werquet vom Bremer Focke-Museum unter Beweis. In der Erzählstation CamVino in der Lindenhofstraße 24 befassten sie sich bei ihrer Erzählerpremiere mit der Kulturgeschichte des Kiosk. Kiosk kommt vom türkischen Wort Köšk für Pavillon. Mit den Gartenpavillons des Osmanischen Reichs haben heutige Kioske nicht mehr viel zu tun. Unbestrittten ist jedoch ihr Stellenwert im Stadtteil. Am Kiosk um die Ecke versorgen sich Jung und Alt mit Süßigkeiten, Getränken, Tabak oder Zeitungen. Aktuelle Neuigkeiten gibt’s gratis dazu. Viele dieser Kleinstläden, die fast rund um die Uhr geöffnet haben, werden von Zuwander*innen betrieben. Sie sind die Brunnen, Tante-Emma-Läden und Marktplätze unseres Jahrhunderts. Und sie bieten immer eine gute Bühne für eine gute Geschichte. Die Kooperation des Focke-Museums mit Kultur Vor Ort setzt sich übrigens fort: Das aktuelle Ausstellungsprojekt „selfmade in Gröpelingen“ befasst sich mit Unternehmen in der Lindenhofstraße im Wandel.

Schön ist das neue camVino in der Lindenhofstraße 24 geworden. Jan Werquet und Bora Akşen erzählen vom Köšk. Foto: Jan Meier

Mit dabei war in diesem Jahr auch eine Erzählstation des Projekts Europa Zentral gelegen um die Ecke zum Liegnitzquartier. „Dies ist eine andere Welt“, warnten Erzähler*innen Lutz Liffers und Elif Patarla ironisch. Während woanders Kinder Müsli und Vollkorn frühstücken, gibt es hier Kekse mit dicker Schokoladenglasur, „Kinder-Frühstück“ genannt. Das Publikum ließ sich eine Kostprobe schmecken und musste festzustellen, wie wenig es über Bulgarien wusste.

Lutz Liffers und Elif Patarla in der Erzählstation Europa Zentral. Hier wurde auf deutsch, türkisch und bulgarisch erzählt. Foto: Marianne Menke

Mit Klebezetteln markierte Elif Patarla Stationen ihres Lebens. Dabei erzählte sie einen Ausschnitt aus der Geschichte Bulgariens aus der Sicht einer Heranwachsenden: von der Kindheit in Yablanowa, wo eine Großmutter auf alle Kinder der Straße aufpasste, den Umzug in einen zugigen Plattenbau bis zur erzwungenen Auswanderung in die Türkei. Warum wanderte die Familie aus? Ende der 1980er Jahre startete Präsident Schiwkow eine „Bulgarisierungskampagne“ und zerstörte damit die Vielfalt der Minderheiten. Muslimische türkisch-sprachige Bulgar*innen erhielten neue Namen und durften ihre Sprache nicht mehr sprechen. Aus Elif wurde Emilia. Aber eine gute Schülerin blieb sie trotzdem. In ihrem Schulzeugnis sind lauter Sechsen – in Bulgarien die beste Note. Es gibt noch viel zu erfahren über das unbekannte Land im Südosten Europas.

Die Feuershows von SpiCe und Lenn Fei dürfen nicht fehlen. Foto: Claudia Hoppens

„Ich habe die meisten Locations besucht, mit Gästen, Erzählerinnen und Gastgebern gesprochen, alle hatten am Ende des Tages strahlende Augen und ein vielsagendes Lächeln im Gesicht.“ resümiert Christiane Gartner von Kultur vor Ort. Es freut sie, dass sich in diesem Jahr so viele am Umzug beteiligt haben und bis zum Ende des Feuerwerks geblieben sind: „Die Menschen standen dicht an dicht vom Pier 2 bis zum Foodcourt an der Waterfront in freudiger Atmosphäre.“

Feste Bestandteile des Festivals: Laternen, Samba, Lichtobjekte und anschließendes Höhenfeuerwerk an der Weser. Foto: Marianne Menke

Eine Bilanz, die auch Anne Schlöpke und Hainer Wörmann aus Gröpelingen per Mail mitteilen: „Wir sagen ein riesengroßes DANKE für diese wunderbare Veranstaltung am Sonntag! Wie wichtig und gewinnbringend die Feuerspuren für die Gröpelinger Nachbarschaften sind, kann man gar nicht oft genug betonen. Unvergesslich: die Geschichte der jungen Frau aus Afghanistan, für die es immer noch ein unbeschreibliches Gefühl ist, allein ohne Aufsicht mit der Straßenbahn nach Haus zu fahren oder mit mindestens hundert Leuten dicht an dicht im ehemaligen Kuhstall des Gäbelschen Hofes sitzen und gemeinsam zu schwören, das Nichts von dem Gehörten den Stall verläßt… Die Menschen, mit denen wir am Ende sprachen, waren sich mit uns einig: Soo schade, dass es schon zu Ende ist! Doch das ist vielleicht trotz allen Bedauerns gut – man freut sich schon auf den nächsten November!“

Wer die Feuerspuren 2020 nicht verpassen will, notiert sich am besten den Termin am 7./8. November 2020.

Text: Eva Determann. Fotos: Jan Meier, Claudia Hoppens, Mariann Menke

www.feuerspuren.de