Jann Sell und Kathleen Rappolt performen im Duo bei der Langen Nacht des Erzählens in deutscher Laut- und Gebärdensprache. Foto: Maria Cosme

Wege zum Mut. Die Lange Nacht des Erzählens eröffnet die Feuerspuren 2024

Vorab ein Gedankenspiel: Wenn klar ist, dass der Mut in Gröpelingen wohnt, wo sitzt der Mut im Körper? Im Kopf, wo Entschlüsse gefasst werden? Oder im Bauch, wenn das Gefühl entscheidet? Im Herzen? In den Händen, die zupacken? Oder den Beinen, die fest stehen und schnell laufen?

Fünf Künstler:innen nahmen das Publikum in der Langen Nacht des Erzählens am 9.11. im ausverkauften Gröpelinger Lichthaus mit auf ihre Reisen zum Mut, über Kontinente hinweg, durch die Zeit, mit wechselnden Weggefährt:innen. Begleitet wurden sie von der Improvisationsmusikerin Carolin Pook auf der Violine und den Gebärdendolmetscher:innen Kati Breitfeld, Antonia Nona-Bella Wehner und Jan Sell (in Doppelfunktion).

Zum Auftakt erinnerte Martin Ellrodt am historischen Datum des 9. Novembers an Elisabeth Schmitz. Die mutige Lehrerin schmiss nach der Reichspogromnacht aus Protest ihren Job, verfasste Druckschriften gegen den NS-Staat und versteckte untergetauchte Jüd:innen in ihrer Wohnung und Parzelle. Mehr Mut geht kaum. Das Ganze passierte in Berlin vor 86 Jahren und war (fast) vergessen.

Danach schilderte Kathleen Rappolt die Episode, wie ihr Erich Honecker die Sommerferien versaute.

Im Duo performte sie anschließend zusammen mit Jan Sell die Legende vom Mäusekönig. Deutsche Laut- und Gebärdensprache waren dabei so perfekt aufeinander abgestimmt, dass Hören und Sehen miteinander verschmolzen. Das Publikum nahm jede Anregung begeistert auf und ruderte einen Kahn mit Mäusen mal eben nach Indien und zurück.

In Korea sitzt der Mut bekanntlich in der Leber. Begründen konnte Soogi Kang dies nicht, aber sie hört noch heute die mahnenden Worte ihres Vaters: Geht deine Leber wieder spazieren? Zweisprachig (koreanisch-berlinerisch) erzählte sie die Saga von einem ungesühnten Mord an einer jungen Frau. Mit ihrer lebhaften Performance verlieh sie dem düsteren Stoff etwas erleichternd Comedyhaftes.

Festivalleiterin Julia Klein begab sich anschließend mit einem zickigen Rosenstrauß auf die Suche nach der wahren Bestimmung. Im zweiten Teil des Abends widmete sie das afghanische Märchen von der Ziegenmutter den mutigen Frauen und Mädchen, denen unter den Taliban der Zugang zu Kunst und Bildung verboten wird. Dazu zählen auch das Singen und Erzählen in der Öffentlichkeit.

Martin Ellrodt ließ noch einmal den Hasen los, um das Feuer zu stehlen, während Kathleen Rappolt und Jan Sell sich mit einem unheimlichen Fabelwesen auf den Spuren des Todes durch Asien schlängelten. Zum Abschluss trommelte Soogi Kang eine super-energetische Lektion in koreanischer Ruder-Onomatopoesie: Oggiyahiyoho-tha!

Wieder in Bremen angekommen erzählten alle Performer:innen zusammen in ihren Sprachen, wie die Geschichten für das Erzählfestival Feuerspuren am nächsten Tag aus der Weser gefischt werden.

Das Publikum feierte die Beteiligten mit stürmischem Applaus – und einer ausverkauften Getränkebar. Das war ein gelungener Auftakt!