Ein Bericht von Haleh Soleymani, Regionalstellenleiterin der VHS West
Als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2005 im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes die Integrationskurse einführte, hatte die vhs West gerade die „Villa“, das ehemalige Verwaltungsgebäude der Alten Feuerwache an der Gröpelinger Heerstraße bezogen.
Zu dem Zeitpunkt hatte sich im Stadtteil Gröpelingen schon mehr als zehn Jahre lang viel getan, nachdem Senat und Bürgerschaft 1991 hier das bisher größte zusammenhängende Sanierungsgebiet festgelegt hatten.
So kam die vhs West hier zu einem eigenen Haus mit drei Unterrichtsräumen. Seitdem haben rund 6.000 Menschen bei uns Deutsch gelernt. Die Diversität im Stadtteil und die Migrationsbewegungen, die während der letzten Jahre im arabischen Sprach- und Kulturraum und in afrikanischen Ländern stattgefunden haben, finden sich in den Integrationskursen wieder.
Hinzu kommen Teilnehmer*innen vor allem aus der Türkei und Südosteuropa. Trotz der unterschiedlichen Herkunftsregionen gibt es vieles, was Integrationskursteilnehmer*innen gemeinsam haben, und im Hinblick auf ihre Lernvoraussetzungen auch einiges, was durchaus ambivalent ist.
Zum einen befinden sich die meisten von ihnen in prekären Lebenslagen und sind vom Träger der Grundsicherung zur Teilnahme verpflichtet. Somit ist das Deutschlernen als Bedingung an die finanzielle Existenzgrundlage geknüpft, was nicht selten Druck erzeugt.
Darüber hinaus sind die meisten von ihnen Eltern. Als solche lernen sie mit dem Wunsch ihre Sprachkenntnisse so zu entwickeln, dass sie ihre Rolle als Eltern stärker wahrnehmen und ihre Kinder in schulischen Belangen besser unterstützen können. Aber auch hier kann der Druck groß werden, da die Teilnahme am Deutschkurs verdeutlicht, wo viele Eltern zunächst einmal stehen: wenn zu Hause Briefe (von der Schule oder dem Job Center beispielsweise) von den Kindern übersetzt werden müssen, dann geht es erst einmal vor allem darum, nicht mehr auf die Unterstützung derjenigen angewiesen zu sein, für die sie verantwortlich sind.
Auch kann es mitunter zwiespältig sein, an die bisherige Lernbiographie anzuschließen und das eigene Selbstbild als Mutter oder Vater mit der Rolle als Lernende*r zusammen zu bringen – zur Schule zu gehen, ist in vielen Herkunftsländern Kindern vorbehalten und für Erwachsene nicht vorgesehen.
Tatsächlich ist der Umstand, dass es eine Lehrkraft gibt, häufig der wesentliche oder sogar einzige Bezug zu bisherigen Lernerfahrungen. Zwar bezeichnen sich Teilnehmer*innen in der Regel selbst nicht als Schüler*innen. Für die die Kursleitung setzt sich aber fast ausnahmslos der Begriff „Lehrer“ durch – im Sinne einer Anerkennung für die pädagogischen Kompetenzen und auch für das Engagement und die Empathiefähigkeit.
So wie ihre Kinder haben auch lernende Eltern innere Bilder davon, wie sie sich mit dem, was sie an Fähigkeiten entwickeln, in der Welt bewegen. Wie sie Deutsch sprechen und verstehen und dadurch ihr Leben anders gestalten können – den Bildungsweg ihrer Kinder fördern, einen Beruf ergreifen – „Sprachbarrieren überwinden“ und „am gesellschaftlichen Leben teilhaben“.
Nicht wenige von ihnen haben mehrere Monate lang auf den Kursplatz gewartet und sind ernüchtert, wenn sie nach zwei oder drei Kursmodulen erkennen, dass das Deutsch lernen nicht so schnell geht wie erwartet; dass es viel mehr Sprachanlässe braucht als im Unterricht möglich, und was das hinsichtlich ihrer beruflichen Perspektiven oder der Unterstützung ihrer Kinder bedeutet.
Mediale Diskurse, in denen von diesen Eltern gefordert wird, zu Hause mit ihren Kindern Deutsch zu sprechen, implizieren immer auch Verweigerung: ihnen wird die Zeit abgesprochen, die es braucht, um sich als Erwachsene*r unter erschwerten Lebensbedingungen eine Zweitsprache anzueignen und Hemmnisse abzubauen. Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, brauchen Eltern, die in die Mehrsprachigkeit hineinwachsen dürfen.
Und ihnen wird eine Rolle zugeschrieben, die zwar teilweise mit ihrer eigenen Lernmotivation korrespondieren mag, aber auch den Blick verstellt darauf, wie bedeutsam ihre Erstsprache als Basis für das Erlernen einer weiteren Sprache ist – vor allem für ihre Kinder. Auch deswegen hatte die vhs West jahrelang nicht nur Deutschkurse im Angebot, sondern auch Sprachkurse wie Arabisch oder Twi für Kinder. Insofern haben Eltern immer und unabhängig davon, wie fortgeschritten ihre Deutschkenntnisse sind oder wie sie sich in der Schule einbringen können, eine wichtige Funktion für ihrer Kinder, wenn es um die Entwicklung von Mehrsprachigkeit geht.