Hühner gackern, Schwerter klirren, Krieger kämpfen, der Tod klebt am Baum, Protestlieder aus Belarus werden gesungen. Nein, wir gucken keine Komödie von Monty Python – wir sind in Gröpelingen. Im Lichthaus.
Wie jedes Jahr vor dem internationalen Erzählfestival Feuerspuren auf der Lindenhofstraße findet die lange Nacht des Erzählens im Lichthaus statt. „Alle am Tisch“, heißt das diesjährige Motto des Gröpelinger Festivals. Zu essen gibt es allerdings nur ein paar Snacks. Dafür werden Geschichten serviert und diese reichlich. Über zwei Stunden lang wird erzählt, gesungen und getanzt.
Der Abend ist ausverkauft, in den hinteren Reihen werden schnell noch ein paar Klappstühle aufgestellt. Die letzten Nachzügler schließen leise die Tür hinter sich. In dem Rot beleuchteten Saal kehrt langsam Ruhe ein. Julia Klein, Erzählerin und künstlerische Leitung der Feuerspuren, steht schon auf der Bühne und heißt die Gäste willkommen: „Alle am Tisch, alle wieder dicht gequetscht. Hier im Lichthaus. Ist das nicht schön?!“ Alle hängen an ihren Lippen, als sie die abendliche Tafelrunde auf der Bühne vorstellt. „Meister:innen ihres Faches“, heißt es da und dass auf Niederländisch, Belarussisch und Alemannisch gekocht wird. Zusätzlich zu den Erzählungen, dem Gesang und den Gitarrenklängen begleitet der Bodypercussion-Chor TapDeKwi die Lange Nacht. Mit ihren Händen und Füßen, ihren Beinen und Armen lassen sie Musik erklingen.
Der erste Gang wird von Katharina Ritter aus München serviert. Der Saal wird von Hühnergackern erfüllt und die Gäste gackern unwillkürlich mit. Und weil in Geschichten nun einmal alles passieren kann, sprechen bei Katharina die Hühner und tanzen auf dem Tisch der Bäuerin. So spricht auch der Hahn bei Katharina und legt die armen Hühner rein. „Never trust a rooster“, beendet sie ihre Geschichte – die erste Weisheit, die dem Publikum heute mitgegeben wird.
Frank Schuyl und Darius Klein, die beiden Nachwuchserzähler, erzählen im Tandem auf Niederländisch und Deutsch. Sie werfen sich im Schwertkampf die Wörter hin und her – bis das Auge von Frank durch Darius` Lanze getroffen und durch den Saal geschossen wird.
Das Publikum geht überall mit. Gespannt lauschen sie dem niederländisch-deutsch erzählenden Frank Belt, wenn er die Geschichte des Wattenmeers erzählt. Mitgefiebert wird bei Julia Klein, wenn ihre Protagonistin Kira ihr Dorf vor den Schulden des Tyrannen rettet. Zwischendrin erklingt immer wieder die Gitarre von Marina Lysak und die Stimme Gabriele Hartungs.
Der Chor TapDeKwi holt das Publikum sanft aus der Pause – sie singen von Liebe und Hoffnung. Die Gäste sitzen wieder, es geht weiter mit Geschichten. Dabei wird laut gelacht und geweint, zustimmend genickt, der Kopf geschüttelt, staunend der Mund aufgehalten. Und zwischendrin auch laut „Schnaps“ gerufen, als Katharina fragt, was man denn alles Leckeres aus Birnen machen könne.
Der Abend im Lichthaus hat keine Grenzen, die Musik und die Geschichten können landen, wo sie wollen, das Publikum bleibt am Tisch. Es wird mitgerissen in neue Welten, viele Sprachen, ferne Klänge. Und so klebt in der zweiten Hälfte des Abends der Tod am Birnbaum der alten Frau, weil sie selbst auf keinen Fall sterben möchte. Bei Julia tanzt und versammelt sich ein ganzes Viertel um eine kleine Glocke, weil diese im Wind so zauberhaft klingt. Und die Gäste singen gemeinsam mit dem Chor dreistimmig einen brasilianischen Song.
Und dann, nach über zwei Stunden, ist der Abend vorbei. In den Ohren klingen noch der Gesang und das langanhaltende Klatschen des ganzen Saales. Die Menschen strömen langsam raus an die kalte Luft. Zwischen ihnen hängen noch die Gespräche über ihre diesjährige Lieblingsgeschichte und über die lange Nacht, die wie jedes Jahr im Nu zu vergeht. Zurück bleibt ein Raum, der noch erfüllt ist von Klängen und Geschichten. Ein Raum, der in aller Ruhe darauf wartet, dass auch nächstes Jahr wieder Hühner und Krieger auf der Bühne stehen, Kira die Welt rettet und der Tod am Baum klebt – oder dass doch etwas ganz anderes passiert.
Text: Ilka Gartner