Sehr geehrter Herr Dr. Bovenschulte,
sehr geehrte Mitglieder des Senats der Freien Hansestadt Bremen,
die Demonstrationen der letzten Monate gehören zu den größten Protesten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Seit den Correctiv-Recherchen rund um die Deportationspläne von Politiker*innen der AfD, anderer Rechtsextremer und auch von CDU-Politiker*innen sind Millionen Menschen bundesweit auf die Straße gegangen, um zu zeigen, dass unsere Demokratie und der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft uns alle etwas angehen!
Am 21. Januar 2024 versammelten sich 50.000 Menschen auf dem Domshof. In den umliegenden Straßen waren weitere 20.000 Menschen. Die Bremer Zivilgesellschaft hat ein deutliches Zeichen gesetzt: gegen Rechtsextremismus, Hass und Hetze. Für Solidarität, sozialen Zusammenhalt und für unsere demokratischen Werte.
Auch in den 90er-Jahren gingen Millionen von Menschen auf die Straße, um der Welle rassistischer und menschenfeindlicher Gewalttaten etwas entgegenzusetzen. Es gab mehr als 300 Brandanschläge auf Asylheime und Wohnungen und unzählige rassistische und rechtsextreme Gewalttaten und Übergriffe in ganz Deutschland.
Während sich weite Teile der Gesellschaft öffentlich solidarisierten, reagierte die damalige Regierung auf die rechtsextreme Gewalt, indem sie das geltende Asylrecht einschränkte.
Heute zeigt sich ein ähnliches Muster. Während sich die Zivilgesellschaft solidarisiert und protestiert, werden seitens der Regierung Abschiebeverschärfungen umgesetzt, die sogenannte GEAS-Reform auf EU-Ebene beschlossen und in den nächsten Monaten soll bundesweit die Bezahlkarte für Asylsuchende eingeführt werden.
Damit wurde und wird Symbolpolitik auf Kosten von Geflüchteten betrieben: Das Problem seien die Schutzsuchenden, nicht unsere unterfinanzierte soziale Infrastruktur, die immer größer werdende soziale Ungleichheit oder das Erstarken rechtsextremer Parteien und Ideologien. Gerechte Ressourcenverteilung und deren Umsetzung durch staatliche Instrumente ist eine Frage der Priorisierung, die von politischen Entscheidungsträger*innen getroffen wird. Dadurch, dass Geflüchtete als Sündenböcke stigmatisiert werden, wird von diesen Entscheidungen abgelenkt. Stattdessen wächst die Spaltung und der Rassismus in unserer Gesellschaft, sowohl gegen deutsche Bürger*innen, als auch gegen unsere zukünftigen Nachbar*innen und Arbeitskolleg*innen. Aus wachsender Frustration durch ausbleibende Veränderung können rechtspopulistische Akteur*innen Profit schlagen.
Rechtsextreme Ansichten werden sagbar und menschenfeindliche Gewalttaten werden täglich mehr. Die Bezahlkarte wird von Politiker*innen als Antwort auf zahlreiche Migrationsprobleme präsentiert. Die Bundesregierung behauptet, Probleme zu lösen, von denen es seitens der Migrationsforschung keine Belege gibt, dass diese Probleme überhaupt existieren! Die Bezahlkarte ist keine Lösung für unsere Probleme. Ganz im Gegenteil: sie diskriminiert, stigmatisiert, grenzt aus und kontrolliert.
Sie spaltet unsere Gesellschaft und stärkt dadurch populistische und rechtsextreme Parteien!
Wenn wir zulassen, dass die Bezahlkarte als angedachte Aufladekarte eingeführt wird, implementieren wir eine diskriminierende Praxis, mit der die Selbstbestimmung und die Teilhabe Betroffener per Knopfdruck massiv eingeschränkt wird.
Schon jetzt wird im Bundestag über eine Ausweitung auf weitere Sozialhilfeempfänger*innen gesprochen. So sagte etwa Maximilian Mörseburg von der CDU/CSU am 22. Februar 2024 im Bundestag: ”Ich bin sehr optimistisch, dass die Bezahlkarte ein großer Erfolg wird. Vielleicht wird sie sogar so ein Erfolg sein, dass wir die Bezahlkarte auf weitere Bereiche im Sozialsystem ausweiten.”
Bei der derzeitigen politischen Lage in Deutschland ist die die Einführung dieser diskriminierenden Praxis eine direkte Bedrohung der Freiheit der vulnerabelsten Personengruppen: Schutzsuchende, Menschen, die von Armut betroffen sind, alte Menschen, Menschen mit Behinderung, mit chronischen oder psychischen Krankheiten.
Ein Land, das sich als Sozialstaat versteht, ist verpflichtet, eben diese Menschen zu schützen!
Eine Regierung, die ein solches gefährliches System wie die Bezahlkarte einführt, macht sich mitschuldig am Abbau des Sozialstaates und dem Erstarken populistischer und rechtsextremer Parteien.
Uns ist bewusst, dass die Bezahlkarte eine beschlossene Sache ist. Die Art und Weise, wie diese umgesetzt wird, jedoch nicht. Am 9. Januar 2024 wurde sich in der Bremischen Bürgerschaft darauf geeinigt, die Bezahlkarte einzuführen, jedoch auch, dass die Bezahlkarte diskriminierungsfrei sein muss. Sobald ein System eingeführt wird, das zulässt, Menschen per Knopfdruck einzuschränken, ist sie diskriminierend!
Wir fordern daher den Präsidenten und die Mitglieder des Bremer Senats mit Nachdruck auf, sich für eine diskriminierungsfreie Umsetzung der Bezahlkarte einzusetzen und sich bundesweit für ein solches Modell stark zu machen. Mit dem Hannoveraner Modell der “Social Card” gibt es bereits eine entsprechende Vorlage. Die Social Card basiert auf einer herkömmlichen Visa-Debitkarte. Die Stadt schreibt die Sozialleistungen per Überweisung monatlich auf der Karte gut und sie kann ohne Einschränkungen genutzt werden.
Dieser Brief soll an die Worte des Präsidenten des Senats Dr. Bovenschulte erinnern, welche im Zuge der ersten Laut gegen Rechts Demo an die Öffentlichkeit gerichtet wurden: “Jetzt ist es Zeit, dass alle Demokraten und Demokratinnen gemeinsam einstehen für unser Gemeinwesen, gegen Spaltung, Hass, Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus.” Mit diesen Worten haben Sie Hoffnung gegeben und sich klar positioniert. Halten Sie Wort!
Lassen Sie uns zusammenhalten und uns stark machen für ein Bremen, in dem Diskriminierung, Spaltung und Menschenfeindlichkeit keinen Platz haben. In dem Teilhabe und Solidarität keine leeren Hülsen sind, sondern ein Versprechen.
Denn: Nie wieder ist jetzt! Nie wieder ist hier! Nie wieder sind wir!
Solidarische Grüße
Petition gegen die Bezahlkarte
Instagram Nein zur Bezahlkarte Bremen
21.06.2024
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