Am Samstag den 04. Juli 2020 fand im Liegnitzquartier das Mikro Festival #02 statt. Rund um den Liegnitzplatz und in den angrenzenden Straßen gab es Musik, Mitmach-Aktionen und Begegnungen. Organisiert wurde das Festival von Europa Zentral/Kultur Vor Ort in Zusammenarbeit mit Anwohner*innen. Wegen der aktuellen Corona-Situation nach dem Motto: Wenn die Menschen nicht zum Festival kommen, kommt das Festival zu den Menschen. So wurde die Straße zur Bühne und der Bürgersteig zur Spielfläche.
Wie groß der Unterschied zum vergangenen Jahr ausfiel, zeigte sich bereits bei der Eröffnung am Willy-Hundertmark-Platz. Eher zögerlich, mit Masken und auf Abstand bedacht, versammelten sich am frühen Nachmittag einige Interessierte: „Wir müssen unbedingt auf die Abstandsregeln achten, nur so dürfen wir die Veranstaltung durchführen,“ so Christiane Gartner, Kultur Vor Ort.
„Gerade jetzt!“ sei der Zusammenhalt der Nachbarschaft und die Solidarität im Stadtteil besonders wichtig, betonte Valesca Fix, Organisatorin des Festivals.
Nicht nur wegen der Corona-Pandemie, sondern auch weil der Schock über die tödlichen Polizeischüsse in Gröpelingen bei vielen noch nicht überwunden ist. Die Bedeutung der Nachbarschaft ist auch Thema einer Fotoausstellung von Aleksandra Weber. An zwei Orten (Hundertmark-Platz und Gohgräfenplatz) wurden großformatige Portraits von Bewohner*innen des Liegnitzquartiers präsentiert. Entstanden sind die Bilder vor einem Jahr während des Mikro Festivals #01. Dazu sammelte Elif Patarla, die Leiterin des Nachbarschaftstreff Mosaik, Stimmen der Porträtierten zum Thema Nachbarschaft: „Wähle kein Haus, sondern wähle deine Nachbarn,“ zitieren Ergür und Jürfet ein türkisches Sprichwort.
Als musikalisches Programm bespielten in diesem Jahr verschiedene Acts abwechselnd vier Parallelstraßen im Liegnitzquartier. Die Orientierung war denkbar einfach, neonfarbene Bodenmarkierungen und offene Fenster und Türen signalisierten Publikum. Zur besseren Vorbereitung hatte in jeder Straße eine Anwohner*in die „Patenschaft“ übernommen.
Ob unplugged oder elektronisch verstärkt, die Darbietungen fielen höchst unterschiedlich aus. Knipp Gumbo unterhielt sein Publikum als Rock ’n‘ Roll-Solist mit Gitarre und hintersinnigen Texten über das Leben, seinen Volvo und andere Liebschaften: „Du kommst mir entgegen, wenn du gehst!“ Singer/Songwriter Axel Kruse ließ mit wehmütigen Melodien einen Hauch Irland-Gefühl durch die Straßen wehen. Da passte sogar der Nieselregen. Ganz anders dagegen der lebhafte Auftritt von Erzählerin Mirjam Dirks, die mit musikalischer Akkordeon-Begleitung von Boyko Borisov Geschichten über Gröpelingen zwischen den Kontinenten, Zeiten und Menschen erzählte, sang und tanzte.
Heimliche Publikumslieblinge waren jedoch Maria and The Secret: zwei junge musikalische Talente aus der Europa Zentral Rap Werkstatt, die mit Präzision und Leichtigkeit auf bulgarisch-griechisch-englisch-deutsch rappten und dabei bewiesen, wie das Herz des Stadtteils schlägt: laut, selbstbewusst, kosmopolitisch und weiblich. Bremen nicht Berlin!
Die Bühne für die Musik bereiteten in diesem Jahr die Anwohner*innen. Sie schmückten Vorgärten, Bürgersteige und reichten bereitwillig Kaltgetränke über den Gartenzaun. „Ich hab heute schon um 10 Uhr damit begonnen, mit meinem Enkel die Straße zu bemalen“, erläuterte Klaus aus der Görlitzer Straße die Werder-Rauten auf dem Fußweg. Dazu versteckten die beiden gleich ein paar selbstgestaltete Gröpelstones. Derweil sorgte in der Johann-Kühn Straße eine WG unterm aufgespannten Sonnensegel für etwas Goa-Atmosphäre.
Mehr als 14 Anlaufpunkte standen den Tag über verteilt auf dem Programm: Musik, künstlerische Mitmach-Aktionen (nicht nur für Kids), ein Boule-Turnier, und ein dialogischer Stadtteilrundgang. Auch die Europa Zentral Nähbox Werkstatt war vertreten. Dort konnten nicht nur nachhaltige Produkte erworben werden, sondern aus Stoffresten eigene Schlüsselanhänger kreieren. Lutz Liffers widmete sich im Liegnitz Walk #06 dem Thema „Straßen, Plätze und neue Wege“. Vermessungen der Liegnitzstraße haben ergeben, dass das Quartier nahezu perfekte Voraussetzungen für die Weiterentwicklung der Nahmobilität (Fahrradwege) besitze. Wie lässt sich davon ausgehend die Umwelt- und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum verbessern? Positiv- und Negativbeispiele eingeschlossen.
„Bis auf das Wetter war alles gut, wir haben uns sehr über die tolle Stimmung in den Straßen und die Beteiligung der Nachbarschaft gefreut“ lautet das Resümee von Valesca Fix, die etwas bedauert, dass nach monatelanger Vorbereitung das Festival so schnell vorbeiging. Ein kleines Extra gibt es jedoch: Das angekündigte Radio-Konzert musste aus technischen Gründen ausfallen. Es wurde aufgenommen und wird zu einem späteren Zeitpunkt ausgestrahlt. Die Vorfreude bleibt.