Am 8. Mai 2021 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. In Asien leitete der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. August das endgültige Ende des Weltkrieges am 15, August ein.
In fast allen europäischen Staaten ist der 8. Mai ein Feiertag: Der Tag der Befreiung von Nazismus und Faschismus.
In Bremen ist der 8. Mai ein Gedenktag, an dem vor allem an die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft erinnert werden sollte.
Die Geschichte hat bis heute tiefe Narben vor allem auch in den Gesellschaften Osteuropas hinterlassen. Kaum eine Familie in Polen, der Ukraine, Russlands und all der anderen osteuropäischen Nachbarn, in deren Familiengeschichte keine Opfer Nazideutschlands zu beklagen wären.
Umso sorgfältiger müssen wir mit den Erinnerungen und Spuren umgehen, die die nationalsozialistische Herrschaft hinterlassen hat. Seit einigen Wochen ist ein Gräberfeld in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit geraten, in dem möglicherweise mehrere Hundert sowjetischer Kriegsgefangener und osteuropäische Zwangsarbeiter begraben liegen. Das Gräberfeld liegt am Gebiet der Reitbrake (Bremen-Oslebshausen) entlang der Gleise, an dem die Hafensenatorin den Bau einer Bahnreparaturwerkstatt plant.
Neuere Archivrecherchen bestätigen, was Zeitzeug*innen und Stadtteilaktivist*innen schon immer berichteten: Das Gelände diente zwischen 1941 und 1945 ortsansässigen Firmen, vor allem Rüstungsbetrieben wie Weserflug, als Grabstätte für osteuropäische Zivilarbeiter*innen und sowjetische Kriegsgefangene, die während der Lagerhaft und des Arbeitseinsatzes in Bremen ums Leben gekommen waren. Schätzungsweise 800 Menschen wurden auf dem im NS-Jargon so bezeichneten „Russen-Friedhof“ meist in Massengräbern bestattet. Es war erklärtes Ziel des NS-Regimes, sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter durch unmenschliche Arbeitsbedingungen, Unterernährung und fehlende medizinische Versorgung zu töten bzw. maximal auszubeuten.
Nach Kriegsende wurde das Areal privatwirtschaftlich genutzt und zudem mit Sand aufgespült. 1947 wurden 446 Leichen von dort exhumiert und auf ein neues zentrales Ehrenfeld für ausländische NS-Opfer auf dem Friedhof Osterholz verbracht.
Recherchen und Luftbilder geben Grund zur Annahme, dass sich auf dem Areal noch die Überreste von weiteren circa 280 Toten befinden. Die meisten von ihnen gehören zur Gruppe der sowjetischen Kriegsgefangenen.
Durch die Debatte um die Bahnwerkstatt ist dieser besondere Ort erneut in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Es wird Zeit, dass in unserem Stadtteil an das Leid der NS-Opfer – und hier besonders an das Leid der sowjetischen Kriegsgefangenen und osteuropäischen Zwangsarbeiter erinnert wird. Es gibt viele kleine Erinnerungsorte in Gröpelingen und Oslebshausen (z.B. das ehemalige Außenlager des KZ Neuengamme, Schützenhof an der Bromberger Straße) Aber der Umfang dieses Gräberfeldes erfordert einen anderen und angemessenen Umgang mit dieser besonders grauenvollen Geschichte der sowjetischen Kriegsgefangen.
Es bedarf endlich einer umfassenden Untersuchung des Geländes, des Gräberfelds sowie aller verfügbaren Dokumente. In diesen Prozess sollten auch Anwohner*innen, Schüler*innen benachbarter Schulen und andere Partner*innen aus dem Stadtteil einbezogen werden. Und es braucht einen würdigen Umgang mit den Opfern.
Das Gräberfeld muss als authentischer Ort der NS-Geschichte und lebendiges Mahnmal für Gröpelingen und Bremen erhalten bleiben. Gemeinsam mit Angehörigen aus den betroffenen Nationen möchten wir die Erinnerung an den Ort und die NS-Zeit wachhalten.
Im Stadtteil Gröpelingen, im dem heute über 37.000 Menschen aus verschiedenen Kulturen leben zusammen, erinnert uns der 8. Mai als Tag der Befreiung auch daran, wie wichtig es ist, täglich und überall eine klare Haltung gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung zu zeigen.
Unterzeichner*innen
Bürgerhaus Oslebshausen
Kultur Vor Ort e.V.
Stadtbibliothek West
Quartiersbildungszentrum Morgenland
Kontakt
Kultur Vor Ort e.V.
Liegnitzstr. 63
28237 Bremen