Herbstzeit ist Feuerspuren-Zeit. Das internationale Erzählfestival wurde in diesem Jahr coronabedingt in mehreren Etappen und an verschiedenen Orten von September bis November gefeiert. Höhepunkt und Abschluss bildete das Straßenfestival am 7. November mit Geschichten, Feuershows und Lichtinstallationen im Lindenhofquartier. Anders als sonst konzentrierte sich der Festivaltag nicht auf eine vollgesperrte Lindenhofstraße sondern auf Festival-Spots entlang verschiedener Plätze und Orte, die die Besucher:innen gezielt aufsuchen oder zu denen sie flanieren konnten. Erstmals fanden auch alle Erzählungen unter freiem Himmel statt.
Im Innenhof des Atelierhauses Roter Hahn ist bereits am frühen Nachmittag viel los. Teilnehmer:innen verschiedener Kinderkunstprojekte kommen mit ihren Eltern, um den Abend einzuleuchten. Selbst gegossene Feuerschalen werden entzündet, Lampions als Kopfbedeckungen aufgesetzt und einige dekorieren spontan noch ein paar Windlichter mit Herbstlaub.
Dann geht es an die Marshmallows. Auf Stöcke gespießt und über dem Feuer gekokelt findet der angebrannte Schaumzucker reißenden Absatz bei Kindern und Eltern.
Inmitten der quirligen Atmosphäre steht blaugewandet mit Schiffshut Erzählerin Lena Pichler. Schnell bildet sich eine Menschentraube.
Die Zuhörer:innen können aus Lenas Bauchladensortiment Gegenstände wählen, zu denen sie wie eine lebendige Toniebox Geschichten erzählt: von der Seefahrt, dem Krieg, dem Tod und einem lebensrettenden Schwein namens Herta. Andere nutzen die Gelegenheit, die Wärmflaschen-Ausstellung in der Galerie zu besuchen und dort dem Motto des Festivals nachzuspüren: Warmhalten.
Derweil füllt sich auch die fantasievoll dekorierte Lindenhofstraße mit Besucher:innen. Geschäfte und Cafés haben geöffnet, zusätzlich sind Essens- und Informationsstände aufgebaut. Die goldenen Engel des Bürgerhaus Oslebshausen und einige Zuschauer leuchten um die Wette.
Die meisten Kinder bevorzugen dagegen traditionelle Lampions. Die hängen in der XXL-Version auch in den Bäumen entlang der Bühnen, was die Orientierung bei Einbruch der Dunkelheit erleichtert.
Ein Ort, der jedes Jahr bei Erzählenden wie Zuhörer:innen besonders beliebt ist, ist der Bauernhof an der Lindenhofstraße. Die meisten aus dem Stadtteil kennen das Haus nur vom Vorbeigehen. Zu den Feuerspuren öffnet sich das Eingangstor und bietet eine märchenhafte Kulisse. Da können die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen, so dass Erzähler Hans-Jürgen Borchers für den Hofbesitzer gehalten und nach seinen Tieren gefragt wird. Er erzählt die Geschichte von Gustav, der mit 66 Jahren sein erstes Radrennen fuhr und so zum schwedischen Nationalhelden wurde.
Ute Huber die von glücklichen Dorfbewohnern, die in naiver Freude einander Geschenke machen, bis ihnen ein alter Geizhals das Sparen lehrt und die Freude nimmt, was natürlich nicht das Ende der Geschichte ist.
Viele Erzähler:innen haben sich inzwischen neben Julia Klein, die als künstlerische Leiterin des Formats auch als Coach und Erzählerin mitwirkt, zu festen Größen der FEUERSPUREN entwickelt. Mirjam Dirks alias Paula, die Postbotin für positive Post oder Akkordeonist Boyko Borissov sind nicht mehr aus dem Programm wegzudenken. Sie performen mehrsprachig auf ihrem Lieblingsplatz Liegnitzplatz, der von den Kindern und Nachbar:innen des Stadtteils in einen leuchtenden Herzwald verwandelt wurde.
Penny Penski ist ebenfalls seit einigen Jahren mit dabei. Als Vintage-Feuerwehrmann überrascht er vor dem Weinladen camVino kleine und große Passant:innen mit Zaubertricks und Feuerjonglage: „Die meisten Kinder hier denken, ich wär Polizist.“
Ganz neu im Stadtteil und das erste Mal bei den Feuerspuren sind die jungen Freiwilligen von NaturKultur e.V. und die StudyFriendsGröpelingen. Andrés, Sina und Sargis wohnen erst seit Oktober in Gröpelingen und geben auf dem Bibliotheksplatz ihr Erzähl-Debüt. Untern Leuchtschirm improvisieren sie Geschichten zu Stichworten, die ihnen das Publikum zuruft. Danach performt Andrés mit vollem Körpereinsatz das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten als Beispiel für Empowerment. Tiere, die ausgemustert wurden, finden zusammen zu eigener Stärke zurück. Die StudyFriends unterstützen Gröpelinger Schüler:innen gegen mietfreies Wohnen im Stadtteil. Im QBZ haben sie sich zu Erzähler:innen ausbilden lassen und freuen sich über die erlernten Präsentationstechniken: „Das kann man überall anwenden.“
„Viele Besucher:innen sind unserem Aufruf, sich selbst zur Feuerspur mit Lichterketten oder Laternen zu schmücken gefolgt.“ freut sich Christiane Gartner und resümiert für die Veranstalter:innen, Kultur Vor Ort und Bürgerhaus Oslebshausen, die FEUERSPUREN 2021 als vollen Erfolg: „Auch bei geändertem Festivalformat hat sich gezeigt, dass der Sonntagnachmittag am ersten Novemberwochenende und verkaufsoffenen Sonntag ein Höhepunkt für den Stadtteil und die Gäste ist und bleibt.“