Von Eva Determann
Nun schippert sie wieder im Dreieck. Die saisonale Weserfähre Pusdorp ist am ersten Aprilwochenende in ihre zehnte Saison gestartet. Bis Oktober pendelt das kleine Schiff aus der Hal över-Flotte nun regelmäßig freitags und an Wochenenden zwischen Lankenauer Höft, Molenturm und Pier 2. Die kürzeste Verbindung zwischen den Stadtteilen Woltmershausen, Überseestadt und Gröpelingen – und wohl auch die schönste.
Zum Saisonstart ist das Wetter jedoch wenig einladend, auch nur vor die Tür zu gehen. Über der Weser peitscht ein eisiger Wind und schlägt Wellen auf dem Wasser. Der Himmel ist grau, es nieselt. Oder ist das schon Schnee?
Das macht Familie Rollins aus Gröpelingen wenig aus: „Es ist schließlich April und wir sind in Norddeutschland.“ Sie wollen heute zum Molenturm, um von dort entlang der Uferpromenade der Überseestadt nach Hause zu spazieren: „Wir haben am letzten Fährtag die Saison beendet und werden sie heute miteröffnen.“ Doch zunächst ist Zeit für einen Kaffee.
Oberhalb des Anlegers am Pier 2 schieben Andrea Munjic und Emre Altinöz von Kultur Vor Ort und Gröpelingen Marketing ihre Pavillons zusammen, um Gäste, Infomaterial und Heißgetränke vor dem Regen zu schützen. „Zucker gibt´s am anderen Ufer,“ scherzt Emre. Auf Retro-Postkarten leuchtet die Pusdorp rotstichig in der Sonne – Grüße von der Weserfähre.
Gegenüber am linkem Weserufer heißt es Ahoi Pusdorf und Grüße aus Lankenau. Hier hat der SPD-Ortsverein Woltmershausen Tische aufgebaut und bietet Kaffee (mit Zucker) und selbst gebackenen „Piratenkuchen“ an. Beiratssprecherin Edith Wangenheim erklärt den Umstehenden, wie der traditionelle Ausflugsort Lankenauer Höft belebt werden soll. Mitte April öffnet der Beach-Club. 2023 soll die Restauration mit Veranstaltungsort fertig sein. Die Politikerin findet, dass dazu wieder eine regelmäßige Fährverbindung gehört, „am besten auch werktags“. Noch in den 1970er Jahren verkehrten zwei unterschiedliche Fähren täglich zwischen linkem und rechtem Weserufer: „Damals haben die Kinder ihren Vätern das Mittagessen per Fähre in den Hafen gebracht,“ weiß sie zu berichten.
Auch in der Überseestadt gibt es erstmals zum Fährtag ein Programm. Etwas weiter vom Anleger weg hat Projektleiterin Svenja Weber einen gut besuchten Straßenflohmarkt mit kostenlosem Yogakurs und Kunst vom Mobilen Atelier organisiert. Ihr Fazit: „Das Wetter hat den Leuten nichts ausgemacht. Im Gegenteil: Die Menschen sind so dankbar, wenn etwas in der Überseestadt passiert. Besonders gut kommen die bemalten Holzfiguren des Kinderateliers an, mit denen nun entlang des Kommodore-Johnson-Boulevards Raser und Auto-Poser „gegrüßt“ werden.“ Svenja freut sich besonders über die Beteiligung junger Familien am Straßenflohmarkt: „Das werden wir auf jeden Fall wiederholen. Viele in Bremen denken ja, in der Überseestadt wohnen nur Reiche, dabei ist es hier inzwischen wirklich bunt gemischt.“
Zurück zur Fähre. Im vergangenen Jahr nutzten, wie Christiane Gartner von Kultur Vor Ort berichtet, trotz Pandemie und Kapazitätsbeschränkungen 20.000 Menschen den Wassertransport. Tendenz steigend. Deswegen wurde der Saisonstart um einen Monat vorgezogen und die Fährzeiten auf drei Wochentage ausgedehnt.
Auch Kapitän Jens Wrieden blickt voller Vorfreude auf seine 7. Saison mit der Pusdorp. Der pensionierte Wasserschutzpolizist kennt die Weser, den Hafen, aber auch die Macken des 1954 erbauten Fahrgastschiffs genau: „Man kann mit der Pusdorp nicht geradeaus rückwärts fahren.“ Unterstützt wird er von zwei Fährhelfern, die vor allem beim Kartenverkauf und an den Anlegern zum Einsatz kommen. Insgesamt 20 Runden im Dreieck werden sie heute drehen. Dabei 60 Mal an- und ablegen. Auf einer Schiffstracking-App lässt sich die Bahn der Pusdorp genau nachverfolgen. Am Ende des Tages hat sie ein dickes blaues Dreieck in die Karte gezeichnet.
Siehe: https://www.vesselfinder.com/de Schiff: Pusdorp
Am Anleger vor der Waterfront gehen neue Passagiere an Bord. Darunter auch Yusuf und Fatima aus Syrien. Sie fahren zum ersten Mal mit einem Schiff und sind dementsprechend aufgeregt. Am Bug halten sie ihre Gesichter in den Wind. „Wie die Titanic, nur größer“, findet Yusuf. „Ich kann nicht schwimmen“, krächzt seine Schwester. „Und das Baby auch nicht.“ Fatima zeigt auf ihre Mutter, die ein dick eingepacktes Bündel im Arm trägt. „Hier ist noch nie etwas passiert“, gebe ich mein Wissen von Kapitän Wrieden weiter. „Guck mal, Möven“, versucht sich Yussuf in Ablenkung und zeigt auf den Anleger. Fährhelfer Omar springt an Land und befestigt das Tau am Poller. Interessiert schauen die beiden zu. Ihr Vater lächelt stolz.
Ich gehe von Bord. Als ich mich umblicke, stehen oben an der Reling Fatima und Yusuf mit ihren Eltern, dem Baby und ihrer Schwester. Alle winken – bis die Pusdorp wieder ablegt. Und für einen Moment ist alles weg: die Kälte, der Krieg, die Pandemie. Eine Fahrt mit der Fähre kann wirklich wie ein Kurzurlaub sein. Probieren Sie es aus.
Die Fähre Pusdorp fährt ab sofort bis zum 3. Oktober freitags von 16 bis 22 Uhr, sonnabends von 12 bis 22 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 20 Uhr im 30-Minuten-Takt zwischen Pier 2, Molenturm und Lankenauer Höft. Die Bezahlung erfolgt an Bord. Fahrräder können mitgenommen werden. Den Fährbetrieb organisiert Kultur Vor Ort zusammen mit der Betriebsgesellschaft Hal över, Gröpelingen Marketing, Kulturhaus Pusdorf, der Senatorin für Wirtschaft und den Beiräten Neustadt, Walle und Gröpelingen.