Das Koschnick-Haus: Ein besonderes Haus für Gröpelingen und Bremen

Ein Text von Andreas Lieberg

 

Das Haus steht in Gröpelingen, in der Geeststraße.

Man sieht es schon von weitem. Hinten mit einem Gerüst verkleidet, vorn mit zerschlagenen Fenstern und seit kurzem mit einem Banner versehen: Das ist keine Kunst, das kann weg.

 

Durch die Aufstockung, die immer ein Rohbau geblieben ist, überragt es die umliegenden Häuser noch mehr. Ein hässlicher Anblick, unter dem Anwohner und Passanten leiden. „Es ist mir peinlich, neben diesem Haus zu wohnen, besonders wenn Gäste kommen“, sagt die Bewohnerin des Nachbarhauses.

 

Das Haus könnte noch immer ein stattliches Wohnhaus sein. Statt dessen steht es seit 32 Jahren leer. Durch einen Brand vor mehr als 20 Jahren hat der Verfall begonnen, fortgesetzt wurde er durch Regen, Sturm und die für Bremen typische Grundfeuchtigkeit in der Luft. Zwischendrin hat der Eigentümer bein paar Versuche unternommen, das Haus wieder bewohnbar und für ihn rentabel zu machen. Es blieben Versuche. Seit 2009 gab es gar keine Bauversuche mehr, die Fenster waren irgendwann zerstört. Letztendlich hat der Leerstand aus einem schönen Wohnhaus eine Schrottimmobile werden lassen.

 

 

Foto: Geschichtswerkstatt

 

Gebaut wurde das Haus Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Foto aus dem Jahr 1925 zeigt im Erdgeschoss eine gediegene Bäckerei. Das Auto vor der Tür steht für Wohlstand – wer hatte damals schon ein Auto?! Entsprechend stolz blickt der Fahrer in die Kamera. Eigentümer des Hauses waren damals die Großeltern von Hans Koschnick, der viele Jahre später, von 1967 bis 1985, Bürgermeister der Hansestadt Bremen war.

 

1934, die Nazis waren in Deutschland seit einem Jahr an der Macht, wurde die Mutter des damals fünfjährigen Hans Koschnick wegen der Verteilung von Flugblättern von der Gestapo verhaftet und saß für ein Jahr in Untersuchungshaft. Im Prozess hatte sie das Glück, dass sich der Hauptbelastungszeuge nicht mehr an sie erinnern konnte. So musste sie freigesprochen werden. Allerdings verlor sie ihre Arbeit. Das Überleben konnte sie durch den Verkauf von Süßigkeiten auf Jahrmärkten notdürftig sichern. Sein Vater war schon am 1. Mai 1933 als Redner und Organisator der Maikundgebung verhaftet worden und war bis 1938 im KZ Sachsenhausen.

So lebte Hans Koschnick bei seinen Großeltern. Zunächst einige Jahre und später bis 1954 immer wieder. Es war das Haus seiner Kindheit und Jugend, die er mit Erinnerungen an die Bäckerei verband, aber auch mit Diskussionen innerhalb der durch und durch politischen Familie, die sich bei seinen Großeltern traf.

 

Er war ein Göpelinger Junge und blieb seinem Stadtteil immer verbunden. In seine Amtszeit als Bürgermeister fallen die Gründung der Bremer Universität und die Ansiedlung von Mercedes-Benz. Beides erreichte er mit der ihm eigenen Tatkraft gegen viele Widerstände. Es war aber auch die Zeit der Werftenkrise, der die AG Weser zum Opfer fiel. Ein trauriges Kapitel in der Geschichte Bremens und Gröpelingens. Koschnicks vielleicht größten politischen Leistungen waren die ersten Schritte eines deutschen Politikers zur Aussöhnung mit Israel und Polen. Weil er eine durch und durch antifaschistische Biografie hatte, konnte er mit mehr Offenheit in Israel und Polen rechnen. So kamen die ersten deutschen Partnerschaften einer polnischen Stadt (Danzig), und einer israelischen Stadt (Haifa) zustande.

 

Nach seiner Amtszeit als Bürgermeister saß er von 1987 bis 1994 saß er für die SPD im Bundestag, auch hier als Außenpolitiker geschätzt. Danach wurde er EU-Administrator in Mostar, mit der Aufgabe, zwischen den im Balkankrieg verfeindeten Kroaten, Serben und Bosniern moslemischer Religion zu vermitteln. Zwei Attentate hat er während dieser schwierigen Mission überlebt. Noch heute wird sein Andenken in Bosnien gewürdigt. Er ist der einzige Bremer Politiker, der auch im Ausland bekannt und geschätzt ist.

 

Foto: Hans-Jürgen Pagel

Im zweiten Weltkrieg war das Haus nur wenig zerstört worden und konnte danach als Wohnhaus genutzt werden. Auch Ende der 70er Jahre überragte es mit seinem Satteldach die umliegenden Häuser in der Geeststraße. Das Awo-Altenheim war neu gebaut, auf dem Gelände des Umspannwerkes standen hübsche Häuser, die Blutbuche war schon damals wunderschön.

 

Der Niedergang des Hauses setzte ein, als der jetzige Eigentümer es kaufte. Ein ehrenwerter Mann? – Zunächst schien es so. 1987 überreichte er eine große Bücherkiste mit politischen Büchern von Hans Koschnicks Vater, Johannes Koschnick, dem Bremer Fockemuseum. Mit dem Haus scheint er sich allerdings übernommen zu haben. Es wuchs ihm einfach über den Kopf, in doppelter Bedeutung. Einschneidend war sicherlich, dass ein Brand große Schäden anrichtete, die wohl durch die Versicherung nicht gedeckt waren. Seine Versuche, das Haus zu retten, endeten stets sehr schnell. Im Inneren des Hauses findet man noch heute große Mengen an Dämmmaterial. Farbeimer, Rohre und andere Baumaterialien liegen oder stehen herum. Einiges wäre noch benutzbar. Im hinteren Teil des Hauses hat noch in den 80er Jahren eine Familie gewohnt, wie mir Nachbarn berichtet haben. Ihre Spuren sind im Haus sichtbar. Gänzlich unbewohnt war das Haus erst Ende der 80er Jahre.

 

 

Nach einer Begehung mit Architekten 2019 hat die Baubehörde das Haus für irreparabel und damit unbewohnbar erklärt. So fällt es auch nicht unter das Wohnraumschutzgesetz von 2019, das sich nur um leerstehenden Wohnraum kümmert.

 

Begehung durch Baubehörde

 

Was tun?

In einigen Punkten können wir nur spekulieren, weil die Baubehörde aus datenrechtlichen Gründen keine Informationen herausgibt. Es ist aber davon auszugehen, dass es vor vielen Jahren schon ein Rückbaugebot für das aufgesetzte Stockwerk gab, weil keine Baugenehmigung vorlag. Es soll sogar ein Angebot der Behörde gegeben haben, die Kosten für den Abriss zu übernehmen. Das wäre allerdings sehr teuer und stünde in keinem Verhältnis zum Wert des Grundstücks, das nicht viel größer ist als die Grundfläche des Hauses.

 

Bei den Stürmen im Februar sind die ersten Bauteile auf das Dach bzw. in den Garten der beiden Nachbarhäuser gefallen, eine Außenwand des Aufbaus wölbt sich bedrohlich nach außen. Eine Baufälligkeit ist sehr wahrscheinlich. Wann muss in so einem Fall die Behörde reagieren? Erst nach weiteren Schäden?

 

Insgesamt hatte ich bei meinen Gesprächen mit der Baubehörde den Eindruck, dass man das Problem Koschnick-Haus gerne los wäre. Man wartet dort aber anscheinend auf Weisung von höherer Stelle. Zudem werden stets die Rechte des unwilligen Eigentümersbetont, die einer Lösung im Wege stehen. Dass es eine soziale Verpflichtung von Eigentum gibt, die im Grundgesetz, der Bremischen Verfassung und im Baugesetz verankert ist, scheint nachrangig zu sein.

 

Dabei gibt es auch in Bremen rechtliche Möglichkeiten, dem Allgemeinwohl gerecht zu werden. Umso mehr, als Gröpelingen im Baurecht, Soziale Stadt (§ 171) besondere Aufmerksamkeit in der städtebaulichen Entwicklung zukommen muss.

In unserer Petition zum Rückbau des Koschnick-Hauses weisen wir auf die Bremer Landesbauordnung (§ 79) und auf das Baugesetzbuch (§179) hin. Ein Rückbau kann verordnet werden, wenn durch die Immobilie das Allgemeinwohl beeinträchtigt wird.  Für die Kosten wird die Gemeinde in Ersatzvornahme aufkommen müssen, wenn der Eigentümer die Kosten nicht selbst tragen kann.

 

 

Wir fordern Maike Schäfer als verantwortliche Senatorin auf, diesen Missstand zu beseitigen. Ein geeigneter Zeitpunkt wäre die Einweihung des neuen Hans-Koschnick-Platzes im Ohlenhof in diesem Jahr.

Man kann nicht einen verdienten Bürgermeister und europäischen Vermittler im Balkankrieg auf der einen Seite mit einem Platz ehren, und gleichzeitig sein Andenken ein paar hundert Meter weiter in einer Schrottimmobilie vergammeln lassen.

 

Sicherlich hätte dieses besondere Haus für Bremen und Gröpelingen als Wohnhaus gerettet werden können. Eigentümer und Behörde stehen in der Verantwortung. Das Rückbaugebot muss endlich umgesetzt werden.

 

Andreas Lieberg

Link zur Petition: Rückbau einer Bauruine